Lesbar - Der spezielle Literaturabend

Als ich die Veranstaltung auf Facebook erstellte, habe ich in der Beschreibung folgendes geschrieben:

 

Ein tolles Format von dem Anja Berger am 9. November 19 Teil sein darf. Während rund 20 Minuten darf sie aus ihren Texten lesen und dem Publikum Rede und Antwort stehen.
Der Veranstalter beschreibt es wie folgt:
"Noch unbekannte oder bereits etablierte Schreibende lesen für Sie aus ihren Texten. Mit dem neuen Format «lesbar» geben wir mehreren Schriftstellerinnen und Schriftstellern jeweils an einem Abend im Quartal die Möglichkeit, Texte aller möglichen Gattungen einem interessierten Publikum zu präsentieren. Nach den literarischen Häppchen freuen wir uns über angeregte und weiterführende Diskussionen."

 

Der Rahmen ist mit dieser Beschreibung schon mal sehr gut abgesteckt. Es klingt, als wäre alles klar geregelt, keine Stolpersteine lagen im Weg. Aber irgendwie ziehe ich die Steinchen, die sich manchmal als Felsbrocken entpuppen, ja magisch an ...

 

Vorbereitet war ich eigentlich. Vor dem Anlass fuhr ich noch für zwei Wochen in den Urlaub. Ehe ich abreiste, dachte ich tatsächlich daran, dass ich mein Exemplar von "Der Menschen-Präparator" unbedingt von einem Wohnort zum anderen mitnehmen muss, damit es ist, wo es hingehört.

 

Mein Exemplar? Nun, das ist dieses eine Taschenbuch, das Büroklammern in Form von Fahrrädern oben an mehreren Seiten klemmen hat, in dem farbige Post-its Seiten markieren und Textpassagen mit Bleistift durch- und angestrichen sind. Es hat auf einer Seite auch einen kleinen Spickzettel, auf dem ich notiert habe, was ich dem Publikum vor der Lesung unbedingt noch sagen möchte. Dieses besondere Exemplar war also in meiner Nähe. Doof nur, dass es die Bücher, die ich am Anlass auf dem Büchertisch feilbieten konnte, nicht waren. Was nun? Eine unpersönliche Excel-Tabelle erstellen, in der sich potentielle Käufer eintragen können? Wäre eine Lösung. Wenn auch nicht optimal. Zurück nach Basel fahren und dort alle Bücher zusammensuchen, jene dann zurück nach Winterthur schleppen um sie anschließend wieder nach Thalwil mitzunehmen? Naja … 

 

Ich entschied mich, meinen Joker zu ziehen: Urs Heinz Aerni - aus Zürich. Wie immer reagierte er prompt. Er füllte eine Tasche mit Exemplaren meiner Romane, die er bei sich lagert, und stellte sie vor seine Tür. Er selbst war nicht da, aber im Schutze eines Vordaches warteten meine Bücher geduldig in der Kälte, bis ich sie abholen kam. 

 

Anstatt direkt nach Thalwil zu fahren, machte ich also noch eine kleine Tour durch den Kanton Zürich. Von Winterthur reiste ich quer durch die große Stadt bis ich am Zielort ankam. Natürlich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, denn ein Auto gibt es in meinem Haushalt seit geraumer Zeit keines mehr. Um manche Orte, die noch eine Zürcher Postleitzahl tragen und somit (angeblich) zu Zürich gehören, zu erreichen braucht man manchmal fast so lange, wie wenn man nach Basel und zurück fährt ... aber egal. Bei meinen Büchern angekommen, packte ich sie in meinen leeren Rollkoffer, denn den Hinweis, dass die Tasche sau schwer sei, habe ich mir zu Herzen genommen. 

 

Mit den Büchern im Koffer ging die Odyssee weiter. Mit Tram, Bus und Bahn erreichten wir letztlich nach einer Reisezeit von gut zwei Stunden (Winterthur - Thalwil könnte man in der Hälfte der Zeit schaffen) den Zielort: Kulturraum Thalwil. Und das Beste: Wir waren viel zu früh! Trotzdem ließ man uns ein. Die Begrüßung war super freundlich und wir fühlten uns sofort wohl, obwohl wir zu Beginn eigentlich nur im Weg standen. 

 

Ich durfte mich einrichten, mir einen Platz in den Publikumsreihen aussuchen, von dem aus ich ohne größere Hürden den Lesestuhl erreichen konnte, sobald ich aufgerufen wurde. Das war dann im Grunde auch schon das Briefing.

 

Die drei weiteren Leser trafen ein. Die Stimmung war gut, wenn auch eine gewisse Nervosität mitschwang. Jeder durfte sich im Gästebuch verewigen und dann kurz auf dem Stuhl Platz nehmen, auf dem anschließend gelesen wurde. Zusammen mit dem Techniker wurde die Lautstärke des Mikrofons mit den Lesern abgestimmt und der Stuhl wurde zurechtgerückt. Das ging alles ziemlich schnell - etwa so schnell, wie die Zeit raste. 

 

Zwei Überraschungen durfte ich dann noch erleben - genau genommen waren es vier. Um mich zu unterstützen kamen nämlich meine Mutter - die gute Seele hat noch keinen meiner Auftritte verpasst - und zwei meiner liebsten Freunde. Für die, die mitgezählt haben: Ja, es sind nur drei Überraschungen aufgezählt, aber eine der drei Überraschungen ist derzeit quasi selbst ein Überraschungsei - wenn ihr versteht. Jedenfalls plauderten wir eine Weile, doch viel Zeit hatten wir nicht. Die Show musste starten!

 

Wir nahmen alle in den Reihen Platz, mit Blick auf den schwarzen Vorhang, den Tisch und den Stuhl. Christoph erklärte den Anwesenden dann noch das Konzept des Abends: Wir vier Autoren würden unsere Texte zum Besten geben und das Publikum darf danach Fragen stellen, Anregungen, Lob und Kritik äußern. Mit diesen Worten legte die erste Schreibende, Jennifer König, los. So wie ich sie verstanden habe, hat sie so unendlich viele Wort im Kopf, die irgendwie raus müssen. Also schreibt sie. Es ist ein Text, dem immer mehr Worte hinzukommen und so irgendwie nie endet … Als ich ihr zuhörte, kam mir spontan das Wort "aufräumen" in den Sinn und dazu ergab sich ein Bild vor meinem inneren Auge: Ein Bücherregal, in dem die Bücher kreuz und quer herumstehen und liegen. Das Gesuchte zwischen all den anderen zu finden, ist schier unmöglich. Das Wirrwarr kann einen verrückt machen. Also beginnt man, Bücher auszuquartieren, wie sie ihre Worte aus ihrem Gehirn ausquartiert, und so Ordnung ins Durcheinander zu bringen. Oder ein Dampfkochtopf. Der Kopf ist der Kochtopf, die Kartoffeln sind die Worte, der Dampf ist der Stift und das Überdruckventil ist das Papier. 

 

Es war sehr angenehm, Jennifer zuzuhören. Sie hat eine schöne Art zu lesen. Irgendwie sanft. Dass sie Fieber hatte und vor wenigen Stunden noch krank im Bett lag, merkte man ihr keine Sekunde an.

 

Es folgte meine Wenigkeit. Mein Text war komplett anders, als die der anderen, ich fiel aus dem Rahmen. Entsprechend schweigsam blieb das Publikum. Es wirkte, als wüssten sie nicht wirklich, was sie mit mir und meinem Thriller anfangen sollen. Das wertete ich aber keineswegs als negativ. Ich mag diese leichte Irritation, die sich stets im Raum ausbreitet, wenn ich verstumme. Christoph fing sich als erster wieder und war neugierig. Er fragte z.B. wie es kommt, dass mich ausgerechnet dieses Genre so interessiert. Ich sagte ihm, was ich allen sage: Mich interessiert viel. Ich liebe Filme, mag seichte Liebesgeschichten, bei denen ich nur konsumieren kann, aber nicht denken muss, ich mag aber auch den Krimi, den Thriller, die Herausforderung, den Mörder zu schnappen, ehe es die Ermittler schaffen, gleichzeitig aber auch das Katz- und Mausspiel des Täters mitzuspielen, die Nase zu rümpfen, mich zu ekeln oder zu empören, wenn er Abscheuliches tut. Aber immer nur das eine oder nur das andere geht nicht. Deshalb kombiniere ich die beiden Stile, so kann ich mir alles selbst ausmalen und zwischen der Romantik und dem Grauen wechseln, wann immer es mir passt. Nach dieser Erklärung stellte ich noch kurzerhand die These in den Raum, dass jeder Mensch eine morbide Seite in sich trägt … Ich bin mir sicher, es gab viele im Publikum die das für sich sofort verneinten, aber es gab mit Sicherheit auch die anderen ...

 

Auf meinen Beitrag folgten jene von Anna Robinigg und Alexander Estis. Während Anna ebenfalls eine angenehm ruhige Art hatte, ihren vielschichtigen Text zu präsentieren, las der einzige Mann in der Runde auf lebendige Art einen lustigen Text, der das Publikum als kleines Schlußbouqet noch herrlich zum Lachen brachte. 

 

Nachdem die künstlerischen Darbietungen ihr Ende fanden, ließen wir den Abend bei angeregten Unterhaltungen mit den Anwesenden ausklingen. Vor allem zwei fielen mir dabei besonders auf. Eine älteres Paar sah sich am Büchertisch meine Bücher an. Unschlüssig legten sie sie wieder weg. Ich beobachtete das eine Weile, ehe ich auf sie zuging und sie darauf ansprach. Sie erklärte mir daraufhin, dass sie hellhörig wurde, als ich davon erzählte, auch Liebesgeschichten in meine Bücher einzuflechten. Ihr sage aber der Krimi und der Thriller nicht zu. Er hingegen meinte, er möge Krimis, aber die Thriller seien ihm zu brutal.

 

Da schlug ich den beiden kurzerhand ein Experiment vor. Ich gab ihnen "Die Farben des Bösen" in die Hände und fragte sie, ob sie dieses Buch gemeinsam lesen wollen. Sie soll die Kapitel lesen, die den Titel "Weiss" tragen. Er soll jene mit dem Titel "Grau" lesen, dann müssten sie nur noch jemanden finden, der die schwarzen Kapitel liest. Denn im Grunde wären es drei Geschichten die zusammenhängen, aber gleichzeitig auch unabhängig sind. Sie fanden die Idee super und feilten sogleich weiter daran. Das Resultat: Ihre Schwester muss nun für die schwarzen Kapitel herhalten. Sie planen gemeinsame Leseabende, während denen der eine vielleicht sogar dem anderen seine Kapitel vorliest oder erzählt, was vorgefallen ist.

 

Ein schöner Plan. Diese Idee, wie die beiden rund um eines meiner Bücher gemeinsame Zeit schaffen, gefällt mir. Ob das Experiment erfolgreich war, werde ich hoffentlich erfahren - meine E-Mail-Adresse habe ich ihnen für die Auswertung auf jeden Fall mitgegeben … 

 

Eure Anja

 

Das Video zu meiner Lesung findet ihr hier.